Sollte die ärztliche Schweigepflicht für Angehörige sensibler Berufsgruppen gelockert werden? Die Diskussion über diese Frage gewinnt vor dem Hintergrund der Germanwings-Katastrophe an Fahrt. Der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer forderte eine Lockerung der Schweigepflicht für sensible Berufe: „Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein“, sagte Fischer der „Rheinischen Post“.
Der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek (CDU) schlug eine Expertenkommission vor, die die Frage klären solle, wie mit ärztlichen Diagnosen bei Menschen in besonders verantwortungsvollen Berufen wie Piloten umzugehen sei. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte gegenüber der „Bild“-Zeitung, wenn Leib und Leben anderer Menschen gefährdet seien, sei „der Arzt verpflichtet, den Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters zu informieren“. Weiter sagte er: „Dies gilt ganz besonders im Fall psychischer Erkrankungen und einer möglichen Selbstmordgefahr.“
Solches las ich heute im Internet-Auftritt der FAZ.
Und das von Leuten, die es besser wissen müssten.
Die ärztliche Schweigepflicht ist Grundstein des Arzt-Patienten-Verhältnisses.
Und daran darf nicht gerüttelt werden.
§ 203 StGB regelt das: Zur Verschwiegenheit verpflichtet sind unter anderem die Angehörigen folgender Berufe:
Angehörige heilbehandelnder Berufe, wie Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Zahnärzte, Apotheker oder Angehörige assistierender Heilberufe, deren Ausübung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert – z. B. Gesundheits- und Krankenpfleger, Altenpfleger und Mitarbeiter des Rettungsdienstes,
Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung,
Rechtsanwälte, Patentanwälte, Verteidiger,
Steuerberater, Notare, Wirtschaftsprüfer,
Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle,
Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle,
staatlich anerkannte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen,
Mitarbeiter eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle,
Amtsträger hinsichtlich ihnen bekannter Amts- sowie dienstlich bekannt gewordener Privatgeheimnisse
Personen, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnemen,
der Beauftragte für Datenschutz,
Gehilfen der o. g. Berufsangehörigen. Zu den schweigepflichtigen Gehilfen eines Angehörigen der vorgenannten Berufsgruppen zählen z. B. in der Medizin alle Mitarbeiter, die dem behandelnden Arzt in irgendeiner Funktion zuarbeiten und dabei Kenntnisse von der betreuten Person erlangen. Der Kreis der unter die Schweigepflicht fallenden Hilfspersonen ist weit gefasst, nämlich „berufsmäßig tätigen Gehilfen“ und „die Personen, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind“ (§ 203 Abs. 3 Satz 1 StGB). Dazu gehören z. B. auch Steuerberater und ihre Angestellten und Laborpersonal, soweit sie „eine im unmittelbaren ärztlichen Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung stehende Tätigkeit“ ausüben. Bei Rechtsanwälten gehören dazu die Fachangestellten der Kanzlei, bei Rettungsdiensten alle Mitarbeiter der beteiligten Berufsgruppen.
Personen, die beim Schweigepflichtigen „zur Vorbereitung auf den Beruf“ tätig sind, also z. B. Auszubildende, Berufspraktikanten im Verlauf eines Hochschulstudiums. [Zitiert nach Wikipedia]
Der § 203 StGB regelt auch, was unter die Schweigepflicht fällt. Und er regelt auch, wann die Schweigepflicht nicht gilt, wann im Gegenteil eine Auskunftsverpflichtung besteht. (Beispiel: Infektionsschutzgesetz, Auskunftspflicht gegenüber Sozialleistungsträgern).
Und er enthält einen Verweis auf § 34 StGB – da gibt es dann eine Rechtfertigung für die Nichteinhaltung der Schweigepflicht bei Interessenkollision mit höherwertigen Rechtsgütern. Wenn also der besagte Fliegerarzt suizidale Tendenzen erkennen würde mit der Konsequenz der Gefährdung für Leib und Leben anderer Personen, müsste er zumindest eine Weile lang über den § 34 StGB nachdenken… und entsprechend handeln.
Wie man sieht – keine Notwendigkeit, dass jetzt eilfertig populistische Politiker am Strafgesetzbuch herumfingern. Nach allem, was diese Regierung bislang fertig gebracht hat (Tarifeinheitsgesetz, Pkw-Maut), kann man davon ausgehen, dass sie es verschlimmern statt verbessern würden.
Nochmal: die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen sind ausreichend!
Und wenn man einen verpflichtenden Besuch beim Flieger-TüV vorschreibt, der seine Erkenntnisse sofort weitermeldet – da kann ich nur vermuten, dass es zu meist erfolgreichen Versuchen der Dissimulation oder gar vorsätzlicher Täuschung kommen würde. Schliesslich ist der „Loss-of-License“ der Super-GAU für jemanden, dessen Zukunft von ebendieser Lizenz abhängt. Und sichere Krankheitszeichen, die eine suizidale Handlung mit Einbeziehung Unbeteiligter – mithin der Tatbestand nach § 34 StGB für die Relativierung der Schweigepflicht – gibt es nicht.