Im allgemeinen Getümmel des abendlichen Fernsehprogramms bin ich gestern zufällig in eine Sendung aus der Rubrik „kritischer Journalismus“ gezappt.
Da wurde doch als völlig neu und bahnbrechend ein Ordinarius aus Frankfurt vorgestellt, der so etwas wie „patient blood management“ erfunden habe. Zumindest ist er ein eifriger Verfechter dieser Methode. Und hat es (leider) in Deutschland schwer.
Nun weiss man ja, dass Blutgabe per se schlecht ist. Es handelt sich immerhin um die Übertragung lebender Zellen, die im Körper dann das Immunsystem beschäftigen, ja ablenken vom eigentlichen Feind. Und insgesamt und überhaupt sterben die transfundierten Patienten früher, als diejenigen, denen kein Fremdblut übertragen wurde.
Schlimmer noch, es werden mit den roten Blutkörperchen auch weisse übertragen, die dann im fremden Organismus auf die Jagd gehen.
Kann so etwas moderne Medizin sein?
Soweit der Beitrag. Dass heutzutage sogenannte „leukozytendepletierte“ Erythrozytenkonzentrate (also solche, aus denen weisse Blutkörperchen entfernt wurden) verwendet werden, wurde mal locker unterschlagen.
Zitiert wurde auch wieder die Studie, die belegt, dass Krebspatienten mit Transfusion deutlich mehr Metastasen haben als solche, die blutsparend operiert wurden und eben keine Transfusion brauchten.
Die Aussage dieser Studie kenne ich schon seit langem. Sie wird aber nicht wahrer, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Vielleicht wird ja umgekehrt ein Schuh draus: diejenigen, deren Krebsleiden (einschliesslich bislang noch nicht erkannter Metastasen) weiter fortgeschritten und oder die von invasiver wachsenden Tumoren befallen waren, konnten nicht blutsparend operiert werden und brauchten daher zum Überleben der Operation Blutübertragungen, während die, die keine Transfusion erhielten, weniger invasive Carcinome und weniger bis keine Metastasen aufwiesen.
Mit anderen Worten: Ursache und Wirkung wurden verwechselt. Möglicherweise. Bis zur Klärung braucht’s halt noch mehr Untersuchungen.
Es geht aber noch schlimmer: Es wurde vielleicht eine Aussage getroffen, bei der zwei Faktoren als Ursache und Wirkung ausgegeben werden, bei denen diese Verknüpfung nicht zulässig ist.
Dafür kenne ich ein schönes Beispiel: In Ländern mit Schweinefleischkonsum ist die Rate an Leberzirrhose-Erkrankungen statistisch hochsignifikant höher, als in Ländern ohne Schweinefleischverzehr. Ergo ist Schweinefleisch ursächlich für Leberzirrhosen.
Das ist der Klassiker, an dem Statistiker dann lernen, dass nichts so ist, wie es aussieht.
Erstens: es findet eine unzulässige Verknüpfung von zwei Variablen statt. Nimmt man statt Schweinefleisch Alkohol, dann passt’s genauso (und medizinisch gesehen ist eine Ursache-Wirkungsbeziehung wahrscheinlicher). Zufällig trinken die Schweinefleischverschmäher auch kaum bis gar keinen Alkohol.
Zweitens: die untersuchten Gruppen wurden manipuliert. Damit das Ergebnis so klar ist, muss man Israelis auslassen: die essen kein Schwein, trinken aber Alkohol. Und verwässern dann aufgrund der auch bei ihnen vorkommenden Leberzirrhose die ach so schöne eindeutige Studie.
Aber mal zurück zum Blut.
Immer wieder werden in der Sendung diejenigen, die Blut und Blutprodukte transfundieren, als rückständig und bequem gebrandmarkt. Gegen Ende die Frage, weshalb von den mehr als 2000 Krankenhäusern in Deutschland nur 120 bei der modernen, schonenden, guten Methode mitmachen.
Damit wird dem Zuschauer suggeriert, dass nur eine kleine Zahl Kliniken fortschrittlich und im Sinne des Patienten handelt.
Was bedeutet patient blood management denn nun?
Bei planbaren Eingriffen wird der Patient frühzeitig in die sogenannte PBM-Ambulanz bestellt und dort untersucht. Findet man eine Blutarmut, wird deren Ursache behandelt und so die Ausgangslage für die geplante Operation verbessert.
Löblich. Und auch wünschenswert.
Denn unbestritten ist der negative Effekt, den eine grössere Anzahl von transfundierten Erythrozyten im menschlichen Körper haben können. Nicht zwanghaft haben müssen, aber – je mehr man transfundiert, desto wahrscheinlicher werden die unerwünschten Wirkungen.
Allerdings lässt man der Einfachheit halber mal weg, was mit Notfalleingriffen ist. Bei einem rupturierenden Bauchaortenaneurysma zum Beispiel habe ich schon alles im Spektrum von „Blutbad mit Massivtransfusion“ bis zu „geringem Blutverlust ohne Transfusionsnotwendigkeit“ erlebt. Aber auch elektive Eingriffe können jäh hin zu furchtbarem Blutverlust entarten.
Da nützt natürlich kein noch so ausgeklügeltes PBM.
Und: so neu ist das Ganze auch nicht – schon 1989 haben wir in Bielefeld vor der OP dem Patienten einen Beutel Blut entnommen und durch die gleiche Menge an Volumenersatz wieder ausgeglichen. So konnten wir einen Beutel mit Eigenblut ausserhalb des Körpers parken und zu gegebener Zeit diesem wieder zurückgeben. Das spart eine gewisse Menge an (Fremd)Erythrozytenkonzentrat.
Vom sogenannten „Cell-Saver“ nicht zu reden. Dabei wird verlorenes Blut in einem speziellen Sammelgefäß aufgefangen, mit Heparin-Kochsalz-Lösung ungerinnbar gemacht. Um dann – sofern genug zusammenkommt – in einer Zentrifuge von Gewebetrümmern aus dem OP-Gebiet befreit und dem Patienten wieder zurückgegeben zu werden. Erspart auch Fremdblutgaben. Gibt’s auch schon recht lange, hat auch seine Einschränkungen und unerwünschten Wirkungen.
Kosten waren in dieser Sendung leider überhaupt kein Thema, da schneidet der Cell-Saver eher schlecht ab, wenn man das teure Verbrauchsmaterial rechnet und am Ende vielleicht nur 2 ganze Erythrozytenkonzentrate einsparen kann.
Man könnte eine richtige kleine Vorlesung daraus machen.
Der Fernsehbeitrag erschien mir allerdings wenig geeignet, diese Sachverhalte sachlich zu diskutieren. Inhaltlich verkürzte man auf den Konkurrenzkampf zwischen den Transfusionsfreunden (Transfusionsmediziner, bequemen Anästhesisten und Chirurgen) und die Fraktion der (modernen, patientenfreundlichen) fleissigen Anästhesisten und Operateure, die PBM praktizieren.
In meinen Augen eine unzulässige Parteinahme. Denn noch ist nicht klar, wer (mehr) Recht hat mit seiner Meinung. Am Ende vielleicht wie so oft: beide (ein bisschen)?
Aber wissenschaftliche Diskussion sieht anders aus – und sollte nicht vor (leicht zu beeindruckenden) Laien im Fernsehen erfolgen.