Kitty

Vor Jahren erschien sie zum ersten Mal in unserem Garten. Kam zielstrebig auf die Terrasse und sass geduldig vor der Tür. Tatsächlich, die Tür geöffnet, traute sie sich herein – unverkennbar unsicher und bestrebt, möglichst wenig Platz einzunehmen.

Das sollte sich bald ändern, der kleine Feger eroberte unser Haus und unsere Herzen im Sturm.

Schnell bildeten sich feste Gewohnheiten heraus. Man könnte es auch anders ausdrücken: die Katze hat uns schnell klargemacht, wie sie sich ihre Besuche bei uns so vorstellte:
Erst ein kleiner Imbiss im Anschluss an eine stürmische Begrüssung, dann ein wenig Fellpflege, gefolgt von einem ausgiebigen Schläfchen. Bevorzugt auf Plätzen, auf denen vorher der Mensch gesessen hatte. Das bunte Polster auf dem Gartenstuhl war ihr bevorzugter Ruheplatz – strategisch güstig: nah am Fenster und an der Heizung.
Ihr gepflegter und gut genährter Zustand liessen schnell die Vermutung aufkommen, sie habe ein festes Zuhause und mache nur Station bei uns, wenn ihre sonstigen Geschäfte das zuliessen. Eine Nachbarin erkannte sie: Kitty heisse sie.
Sie hat sich bei uns recht wohl gefühlt. Besondere Anziehungskraft hatte natürlich der essende Mensch. Da wollte sie stets gern und ausgiebig mittun.

In einem unbeobachteten Augenblick gelang auch ein schwerer Fall von Mundraub: Das Blutwurstbrot meiner Holden hatte es ihr angetan. Und als Madame dann vom Tisch aufstand, um ans klingelnde Telefon zu gehen, war die Gelegenheit günstig. Sie wertete das Weggehen nach Katzenart: sie will nicht mehr. Kann ich haben. Brot ist für die Katze nicht – aber die Wurst kann man ja heruntertatzeln. Auch wenn die dann auf dem Boden landet, kann sie in Ruhe verspeist werden.


Neue Gartenstühle wurden angeschafft. Tja, bevor wir Platz nehmen konnten, hatte sie schon mal einen ausgiebigen Test absolviert. Die Stühle schienen den Test bestanden zu haben.

Überhaupt, der Garten. Eine Quelle interessanter Beobachtungmölichkeiten. Stundenlang konnte sie vor der Hecke oder dem Nussbaum sitzen und das Dickicht beobachten. Und im Sommer, wenn Frau Schäfer im Schatten der Hecke ein Nickerchen machte, war auch die Katze nicht weit. Durch Grunzen und Stöhnen wurde meine Holde geweckt – die Katze hat sich ausgiebig im kühlen Gras gewälzt und aus ihrem Behagen kein Geheimnis gemacht.

Und dann, eines Tages, erschien sie nicht mehr. Zunächst hat uns das keine Sorgen gemacht, so etwas hatten wir schon öfter erlebt. Man hat ja nicht immer Zeit, seine Bekannten zu besuchen. Oder das Wetter war nicht geeignet für grossartige Ausflüge.
Aber dann hingen überall in der Gegend Zettel mit einer Suchbotschaft. Und ihrem Bild. Kurz drauf waren alle Zettel wieder verschwunden.
Wochen ohne Kittys Besuche zogen sich dahin – und dann, eines schönen Tages, sass sie wieder da, als wäre nie etwas gewesen.
Völlig selbstverständlich nahm sie wieder Besitz von unserem Haus. Einstweilen dürfen wir vermutlich noch wohnen bleiben….

Dann kam sie nicht mehr. Sind ihre Besitzer weggezogen oder hatte sie Pech im Strassenverkehr? Wir wissen es nicht. Aber irgendwie fehlt sie uns.