Aus der Mode gekommen

Was früher für einen soliden Rücktritt gereicht hätte, bewirkt heutzutage – nichts.

Da ist ein ungeheuer stabilisierendes Trägheitsmoment aufgetreten, bei dem bleibt einem nur der Mund offen stehen.

Wer erinnert sich noch?

Ein Politiker zu Guttenberg, der beim schlampigen Abfassen seiner Doktorarbeit erwischt wurde. Plagiatsvorwürfe wurden laut – und ehe sie nur annähernd erhärtet wurden, war der Mann schon von allen Ämtern zurückgetreten.

Oder der SPD-Verteidigungsminister Scharping.

Einmal im Pool auf Mallorca in Begleitung einer Dame fotografiert – weg.

Oder noch früher: Kanzler Brandt trat zurück, weil in seinem unmittelbaren Umfeld ein Stasi-Spion enttarnt wurde. Die Frage, ob er selbst mit dessen Einstellung irgend etwas zu tun habe, blieb unbeantwortet. Er trat zurück.

Und heute?

Wir haben einen Kanzler, der ob seiner ungeklärten Rolle im „cum-ex-Geschäft“ einer namhaften Hamburger Bank in die Kritik gerät. Auf wunderbare Weise lässt das Finanzamt Hamburg die Rückforderung einer namhaften Summe zuviel gezahlter Steuerrückerstattungen einfach mal verjähren. Dem vorausgegangen waren mehrere Gespräche mit dem damals Ersten Bürgermeister.

Im Untersuchungsausschuss kann dieser sich nicht erinnern, was Gegenstand seiner Besprechung mit dem Vorstand der Bank gewesen sein mag. Ja, noch schlimmer, die Termine selbst erinnert er nicht mehr. Und das seltsame Gebaren der Hamburger Finanzbehörde kann er sich auch nicht erklären.

Kann man sich vorstellen, dass unsereiner mit solch läppischen Ausreden in einem Ermittlungsverfahren davonkommt? Wohl kaum, man versuche das mal in einem Verfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung vorzubringen. So schnell lassen die einen nicht vom Haken.

Mal ganz davon abgesehen, ob er nun tatsächlich etwas Verbotenes getan hat oder nicht – so ein Ermittlungsverfahren und die im Raum stehenden Vorwürfe hätten in der noch gar nicht so fernen Vergangenheit zum Rücktritt des Amtsinhabers geführt. Um Schaden vom Amt abzuwenden.

Aber der Rücktritt als solcher scheint heute doch etwas aus der Mode gekommen zu sein, wie man an zahlreichen anderen Beispielen in der politischen Kaste sehen kann.

Nun, es kommt noch doller.

Endlich gerät Bewegung in die cum-ex-Untersuchung, als die NRW-Staatsanwaltschaft zwei Laptops mit 700 000 e-mails nach Hamburg überstellt. Verzögert, aber immerhin.

Alter! 700 000 e-mails!

Wer asserviert denn so viele e-mails? Aus wie vielen Jahrhunderten stammen denn die?

Löschen die denn gar nichts?

Und warum auf zwei Laptops und nicht auf DVD? Fragen über Fragen.

Aber keine Sorge, Klarheit in der causa entsteht durch diese Beweismittel auch nicht.

Auf unerklärliche Weise hat jemand, der angab, verhindern zu wollen, dass sich die Mitglieder des Untersuchungsausschusses die e-mails ansehen, die zum Teil auch andere Sachverhalte beträfen, die zwei Laptops jetzt „sicher gestellt“ – heißt: aus der Asservatenkammer entfernt. Dieser Jemand ist auch noch Teil des Untersuchungsausschusses. Sowas kann man sich nicht ausdenken!

Wo sie jetzt sind?

„Sag‘ ich nicht. Aber ich verspreche, nicht daran herum zu manipulieren“.

Ah ja.

Das beruhigt doch ungemein.

 

Auf verschiedenen sozialen Medien werden jetzt „Bananenrepublik“-Rufe laut.

Also bitte, damit täte man einer veritablen Bananenrepublik ganz sicher unrecht.

Die würden sich wenigstens noch Mühe geben, nicht aufzufallen.

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